Pflege Zirkus

Pflegegrad beantragen

In unseren ersten beiden Blog-Episoden haben ich mich eingehend mit den zehn gängigsten Vorurteilen über die Pflegewelt beschäftigt. Während einige absolut nicht stimmten, waren andere durchaus nicht von der Hand zu weisen. Ich hatte richtig Spaß dabei, mich mit den Ressentiments der Pflege gegenüber zu beschäftigen und hoffe, euch hat es beim Lesen auch gefallen. Heute geht es ein wenig theoretischer und „ernster“ zu. Ich bin Michael Pfister. Und hier ist der Pflegezirkus. Willkommen und Manege frei für das Thema „Pflegegrade“.

Wenn der Pflegeantrag unausweichlich ist

Es hilft nichts. Man schafft es nicht mehr alleine und muss professionelle Hilfe beantragen.

Ja, Pflegezirkus heißen wir. Und in der Pflege ist tatsächlich manchmal der Zirkus los. Vor allen Dingen, wenn eine Pflegebedürftigkeit entsteht. Dann startet nämlich der Antragszirkus. Und das oft unerwartet. Pflegebedürftigkeit entsteht in vielen Fällen plötzlich, beispielsweise durch einen Unfall oder durch eine Krankheit.

 

Bei manchen Leuten entwickelt sie sich hingegen langsam und ist vorhersehbar. Manche Kinder werden mit einer Pflegebedürftigkeit geboren und das Leben verändert sich. Als Angehöriger oder Betroffener macht man viel durch und meistens ist es so, dass man dann für Antragswesen oder für diese ganzen Wust einfach keinen Kopf, keine Zeit und keine Nerven hat.

 

Doch es ist wichtig. In Deutschland haben wir aktuell knapp fünf Millionen pflegebedürftige Menschen, bzw. Menschen, die einen Pflegegrad haben. Und obwohl die Zahl so hoch ist, gibt es so eine totale Überforderung und oft eine komplette Unwissenheit was das Thema betrifft: Welche Anträge können gestellt werden? Welche Leistungen können wann abgerufen werden von den verschiedensten Kostenträgern? Bei all diesen Fragen könnte man schnell verzweifeln. Dooch wenn der Fall eintritt, dass Pflegebedarf angemeldet werden muss, gilt es, wirklich schnell zu handeln.

 

Und ich habe mir vorgenommen, Pflegezirkus jetzt einfach mal dafür zu nutzen, um ein bisschen Aufklärung zu schaffen; euch einen Weg durch das Dickicht der Anträge, Leistungen und Behörden zu zeigen.


Wie erwähnt: Das Allerwichtigste ist, wenn eine Pflegebedürftigkeit entsteht, den Pflegegrad zu beantragen. Und in Deutschland haben wir glücklicherweise die Pflicht auf Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Das heißt, wenn eine Pflegebedürftigkeit entsteht, entstehen sehr hohe Kosten und da ist es gut, diese Versicherung, die Pflegeversicherung abzurufen. Denn das selber zu stemmen, ist wirklich schwierig.

 

Die erste Frage, nämlich die nach dem „Wann“ ist schnell beantwortet: sofort!
Es ist wirklich wichtig, dass der Antrag sofort gestellt wird. Denn es werden Leistungen nur rückwirkend bis zur Antragsstellung bezahlt, nicht rückwirkend bis zum Zeitpunkt, an dem der Pflegebedarf entstand. Stellen kann man den Antrag telefonisch und die erste Adresse kann hier die Krankenkasse sein. Wenn ihr also merkt, dass die Mama jetzt die Autoschlüssel auf einmal in den Kühlschrank legt oder das mit dem Medikamente organisieren klappt nicht mehr so richtig – zögert nicht lange, ruft die Krankenkasse an.

Pflegeantrag: Wie wird er gestellt?

Pflegegradantrag stellen

Die Pflegekasse ist angegliedert an die Krankenkasse und die Kontaktdaten können auf jeden Fall weitergegeben werden. Also der Antrag kann einmal telefonisch erfolgen.

 

Hier ist es wichtig, immer auch den Nachweis zu haben. Das heißt, wenn ihr die Pflegekasse telefonisch informiert habt, dann lass euch eine Bestätigungsmail schicken, damit ihr etwas in der Hand habt. Falls die Leistungen nämlich nicht rückwirkend gezahlt werden sollten, bis zur Antragsstellung, also bis zum Telefonat kann man sagen: „Freunde hier, ich habe es schwarz auf weiß!“


Man kann aber auch einen Brief an seine Krankenkasse schreiben. Ein Dreizeiler mit den Daten: Vorname, Nachname, Geburtsdatum, Versicherungsnummer reicht im Prinzip schon. Schreibt dort einfach nur rein: Ich beantrage Pflegeleistungen, oder ich beantrage die Einstufung zu einem Pflegegrad. Wenn ihr das rausgeschickt habt, dann bekommt ihr ein Antragsformular, das extrem ausführlich ausfällt.


Sobald ihr das habt, füllt ihr es in Ruhe und aller Sorgfalt aus und schickt es dann wieder zurück. Wenn man sich bei der Beantwortung ein bisschen unsicher ist ruft einfach mal den Pflegedienst bei euch in der Gegend an und fragt, ob die euch behilflich sein können. Ganz wichtig dabei, und ich kann es gar nicht oft genug betonen: Bleibt ehrlich und antwortet komplett bei der Wahrheit. Ich weiß, es ist verlockend, wenn man etwas übertreibt. Aber die Pflegeleistungen leben auch davon, wenn alle fair bleiben.

Hilfe beim Pflegegrad-Antrag

Wenn die Mutti den Antrag nicht alleine stellen kann und die Angehörigen auch Hilfe brauchen.

Ansonsten gibt es staatliche Einrichtungen. Das sind die sogenannten Pflegestützpunkte. Die findet man sehr gut in der Übersicht im Internet (siehe Verlinkung ganz unten). Meine persönliche Erfahrung mit diesen ist ausnahmslos positiv. Ich habe bis jetzt tatsächlich den Pflegestützpunkt immer als total zuverlässig und fix kennengelernt. Sich darüber einen Profi an die Seite zu holen, ist ohnehin das Beste, was man tun kann. Denn nach dem Pflegegrad geht es ja direkt weiter mit den potenziellen Leistungen, die man abrufen kann. Und dort einen festen Ansprechpartner zu haben, ist eine sehr gute Idee.

 

Abhängig von den unterschiedlichen Krankenkassen können internetaffine Menschen auch schauen, ob ihre Krankenkasse den Pflegegrad-Antrag auch online anbietet. Ich wünsche mir sehr, dass hier alle anderen nachziehen, denn, Leute, wir sind sind im 21. Jahrhundert. Liebe Kollegen bei den Krankenkassen. Schaut euch an, wie die Kollegen es machen und bittet eure IT, das umzusetzen


Wenn der Antrag dann zu euch gekommen ist, dann bitte unterschreiben. Es gilt nur der Antrag, der unterschrieben ist. Entweder von dem Pflegebedürftigen selber oder vom gesetzlichen Betreuer, bzw. jemandem, der dazu bevollmächtigt ist. Bei Kindern ist die Antragsweise genau dasselbe. Hier ist es natürlich selbstverständlich, dass dann die Eltern bzw. die gesetzlichen Vertreter unterschreiben.

 

Wenn der Antrag ausgefüllt und unterschrieben ist, bitte per Einschreiben mit Rückschein versenden, um alles nachweislich zu halten. In der Pflege gilt gerne: Was nicht dokumentiert ist, ist auch nicht gemacht.

 

Als nächster Schritt kommt ein Vertreter vom medizinischen Dienst zur Begutachtung. Und an diesem Tag gilt es vorbereitet zu sein. Das bedeutet aber auch, dass man der Mutti oder dem Vatti vermittelt, dass sie nun nicht gerade versucht, den Spagat vorzuführen oder auf dem Dachboden nach den Kindheits-Fotoalben sucht. Ich war schon oft bei solchen Terminen dabei und plötzlich haben die Damen und Herren, die sonst nicht mal eine Flasche öffnen können, eine Energie, mit der sie Bäume ausreißen können. Da es jetzt oft die Generation derjenigen ist, die meinen, keine Schwäche zeigen zu dürfen – klassische Festungsfamilien: Wenn es mal Probleme gibt, wird das innerhalb der Festung geregelt.

 

Bitte aber auch hier ehrlich bleiben. Nicht versuchen, fitter zu sein, als man ist. Der Begutachter oder die Begutachterin ist niemand von der Presse, der/die das einen Tag später als große Story in der Zeitung verarbeitet. Deshalb keine Angst davor, hier wirklich ehrlich zu sein und die vorhandenen Probleme ungeschönt mitteilen.

 

Wenn ihr euch unsicher seid, was genau in den Pflegeantrag reingeschrieben werden kann und was ihr bei der Begutachtung kundtun könnt/müsst, dann gebe ich euch den Rat und Tipp, ein Pflegetagebuch zu führen. Oft gehen die Dinge unter, die man im Alltag helfend bei Mutti oder Vatti tut. Und in einem Pflegetagebuch (Link zu einem Vordruck dafür findet ihr unten) kann man viel besser festhalten und später abrufen, welche Probleme im Alltag herrschen. Hierbei sollet man ein Augenmerk vor allem auf die Mobilität sowie die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten legen. Verlegt eure Angehörige/Angehöriger Sachen? Ist sie nicht mehr richtig orientiert oder möchte einen seit Jahren Verstorbenen besuchen? Kann sich die Dame oder der Herr noch selbst versorgen und pflegen? Kann derjenige oder diejenigen sich noch alleine medizinisch versorgen, sprich: zum Arzt gehen und Rezepte einlösen?

 

All das sind Fragen, die im Pflegetagebuch niedergeschrieben und bei einer Begutachtung geäußert werden sollten. Was man zum Termin mit dem Begutachter noch bereithalten sollte, sind etwaige Arztbriefe, Krankenhausberichte etc.

Wie bitte? Pflegegrad2?

Leute, im Ernst, ich bin Pflegestufe 2!

Da ich all diese Dinge immer gerne an mir selbst ausprobiere, habe ich mich mal hingesetzt. Es gibt einen Pflegegrad-Rechner (Link findet ihr unten), den man einfach mal nutzen kann. Das Ergebnis kann dabei durchaus „witzig“ ausfallen. Bevor man aber selbst erfährt, welchen Pflegegrad man theoretisch hat, ist es deshalb gut, weil man auf die Fragen schon mal vorbereitet ist, wenn sie kommen.


Ich habe also diesen Test gemacht und herzlichen Glückwunsch Leute, ich bin Pflegegrad zwei.

 

Klar ist da auch ein bisschen „Spaß“ dabei, aber unter dem Punkt Verhaltensweise und psychische Problemlage bezieht sich eine Frage auf mögliche nächtliche Unruhe. Also jetzt Mal ganz im Ernst: Wer schläft denn nicht mal schlecht?


Antwortmöglichkeiten sind „nie oder selten“, „selten oder 1 bis 3 Mal innerhalb von zwei Wochen“. Sorry, aber innerhalb von zwei Wochen schlafe ich bestimmt dreimal schlecht. Eine weitere Frage bezieht sich auf „psychisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen“ .Also Leute, beim Autofahren kann ich für nichts garantieren. Wenn mich da einer nervt, dann mache ich vielleicht noch meine Atemübungen, sage okay, vier Sekunden durch die Nase, acht Sekunden ausatmen, durch leicht geöffneten Mund in den Bauch rein. Aber wenn mich da einer 10 oder 20 Sekunden nervt, dann kann ich es irgendwann auch nicht mehr wegatmen und denke: „gib mir die Kraft, meinen Nächsten zu lieben und nicht umzubringen“. Ihr wisst, wie ich es meine und ich weiß auch, wie der Test es meint. Aber wenn man ihn mit entsprechender Unbedarftheit beantwortet, wird man bei mehreren Punkten ins Raster passen und bei mir kam dann Pflegestufe 2 raus.

Wenn der Begutachter da ist, nicht so tun, als könne man Bäume ausreißen!

Wenn der Prüfer kommt

Aber noch einmal zurück zum Tag, an dem der Begutachter/Prüfer vor Ort ist. Wie gesagt, kann ich euch nur den Rat geben. Seid ehrlich, gebt der Person einen angenehmen Platz, bietet ihr etwas zu trinken an, seid freundlich und redet mit ihr so wie es ist. Die haben kein Interesse daran, euch schlechter zu bewerten. Die Einstufung dauert in der Regel dann so eine Stunde bis zwei.

 

Wenn die Prüfung dann rum ist, schickt der medizinische Dienst die Empfehlung zum Kostenträger, also zur Pflegekasse und man bekommt dann einen Bescheid. Wenn der dann ins Haus flattert, meine Lieben: genauestens durchlesen. Es muss immer ein vollständiger Bericht dabei sein. Wenn kein vollständiger Bericht dabei ist, dann fordert diesen bitte an. Bitte Punkt für Punkt durchlesen, schauen, ob es tatsächlich so ist oder ob es nicht so ist – besonders, wenn nicht der erwartete Pflegegrad akzeptiert wurde. Denn man kann Widerspruch einlegen – innerhalb von 14 Tagen ist das möglich, falls es auf dem Schreiben entsprechend so vermerkt ist. Falls auf dem Schreiben nichts steht, kann man sogar innerhalb von einem Jahr noch Widerspruch einlegen.

 

Es wird durchschnittlich jeder fünfte Antrag abgelehnt und ich habe das selber sehr oft erlebt. Wenn der Brief kam mit der Ablehnung, obwohl die Person wirklich eine Pflegebedürftigkeit hatte, dass die Menschen einfach zu stolz sind und es dann selbst bezahlen wollen. Schüttelt diesen falschen Stolz ab. Es steht euch zu!

Für den Widerspruch reicht erst einmal ein Dreizeiler aus: Ich widerspreche der Einstufung (persönliche Daten) mit Datum und das Ganze erneut mit Einschreiben und Rückschein wegschicken. Dann könnt ihr euch im Anschluss Zeit nehmen, um die Begründung detailliert auszuführen.

Gehen wir jetzt davon aus, es hat alles geklappt, wie es klappen sollte. Der Pflegegrad wurde bewilligt. Dann können jetzt verschiedene Leistungen abgerufen werden. Es gibt den Pflegegrad 1 bis 5. Natürlich gibt es dort unterschiedliche Leistungen, die du jetzt beanspruchen kannst, oder auch Einrichtungen, die du nutzen kannst. Das ist jetzt alles möglich. Bei mobilen und stationären Einrichtungen kommt man allerdings meist erst ab Pflegegrad zwei unter.

 

Geschieht einem eurer Familienmitglieder so etwas spontan, beispielsweise nach einem Schlaganfall und Krankenhausaufenthalt, kommt erneut meine Bitte: Sofort den Pflegegrad beantragen. Es gibt in bestimmten Situationen Eilverfahren, die man beantragen kann. Für diese braucht es aber auch diese speziellen Begründungen.

 

Denn stellt euch vor, nach zwei Wochen soll die Mutti nach ihrem Schlaganfall aus dem Krankenhaus entlassen werden. Bis dahin ist auf normalem Wege niemals ein Pflegegrad ausgerufen und es ist schwierig, für stationäre Einrichtungen und auch für ambulante oder teilstationäre Einrichtungen zu sagen, wir nehmen jetzt eine Person auf gut Glück ohne Pflegegrad.

 

Das heißt, hier ist tatsächlich Eile geboten und da wird in aller Regel auch tatsächlich Rücksicht drauf genommen. Meist gehen diese Anträge auch sehr schnell durch.

So, jetzt haben wir besprochen, wie es funktioniert einen Pflegegrad zu beantragen. Für wen es also zutrifft: Keine Zeit verlieren und JETZT loslegen mit dem Antrag. Im nächsten Blogbeitrag kümmern wir uns dann um die Pflegeleistungen, die man erhalten kann.

 

Macht’s gut und bis dann, euer Michael.

Linksammlung:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert