Pflege Zirkus

Euer Ernst? Die 10 größten Vorurteile über die Pflege – Teil 1.

Die Welt der Pflege ist voller Vorurteile und Missverständnisse. Bemüht man eine Suchmaschine im Internet, kommt man auf diese Weise schnell auf eine ganze Vielzahl an Ressentiments und erhält vor allem eins: ein falsches Bild dieses so wichtigen beruflichen Stands und gesellschaftlich relevanten Bereichs.

 

Ich möchte dieses oft so negative Bild der Pflege ein wenig geraderücken und nehme mir dafür die 10 gängigsten, absurdesten und kontroversesten Vorurteile über die Pflege zu Brust. Ist wirklich alles so schlimm, wie man in der Öffentlichkeit oft meint?

Vorurteil #1: In der Pflege will doch niemand arbeiten!

Will wirklich niemand in der Pflege arbeiten?

Die kurze Antwort ist: ja, das stimmt.


Die längere Antwort: Allgemein bekannt ist, dass wir einen Pflegenotstand haben. Uns fehlen in Deutschland mehrere 1000 Fachkräfte. Und jede stationäre Pflegeeinrichtung, jeder ambulante Pflegedienst, jede teilstationäre Einrichtung oder Krankenhauseinrichtung kennt dieses Problem. Für mich stellt sich allerdings immer die Frage: wieso denn eigentlich?

 

Ich glaube, es liegt einmal am gesellschaftlichen Ansehen. Ich habe bspw. eine Bekannte, die ihr Abi macht. Im Vorfeld hat der Lehrer zu den Kids gesagt: Ihr Lieben, strengt euch bitte an, ansonsten werdet ihr alle Altenpfleger. Pflege ist in der Gesellschaft immer noch nicht hoch angesehen.

 

Gleichzeitig ist es auch eine Frage der Arbeitszeiten. Ich selbst habe für meine Einrichtungen viele Bewerber, hören dann aber häufig: also ich würde ja gerne in der Pflege arbeiten, aber von Montag bis Freitag. Was bleibt mir da anderes übrig als zu sagen: ja gut, tut mir leid, unsere Leute sterben jetzt nicht alle am Freitag und erwachen dann Montagmorgen wieder zum Leben. Ja, wir müssen auch am Wochenende arbeiten. Und ja, wir haben auch eine Spät- und eine Nachtschicht. Und wir arbeiten auch an Feiertagen.

 

Es ist also so, dass es nicht allzu leicht ist, Menschen für die Pflege zu begeistern. Viele, die dann aber einmal dort sind, lieben und schätzen ihren Job. Was wiederum an vielen Gründen liegt.
In der Pflege will also niemand arbeiten? Ja, leider muss man das Vorurteil in einem bestimmten Maße so unterschreiben.

Vorurteil #2: Pflege ist Sklavenarbeit mit schlechter Bezahlung!

Ist Pflege wirklich Sklavenarbeit?

Oha, ein Vorurteil, das mich zum Schwitzen bringt und das mich immer wieder aufregt. Ja, die Pflege wurde in der Vergangenheit schlecht bezahlt. Das stimmt. Als ich nach meiner Ausbildung angefangen habe, habe ich als Fachkraft mit 12,50 € gestartet. Das war 2010 und die Lebenshaltungskosten waren noch etwas günstiger.

 

Heutzutage ist das ein bisschen anders. Es ist ja immer so, Markt Nachfrage bestimmt den Preis. Wir haben seit dem 1. September 2022 das Tariftreuegesetz in der Pflege. Das bedeutet, jeder Betrieb in der Pflege ist verpflichtet, eine tarifähnliche Gehaltsgestaltung zu machen. Das heißt, das regionale Entgeltniveau auszuwählen.

 

Ich sage euch das jetzt mal im Vergleich zu damals: 2010 lagen wir noch bei 12,50 €, mittlerweile sind wir bei 22 bis 24 Euro die Stunde. Das sind knapp 4.000 € brutto. Ich muss ehrlich sagen, jemand, der eine dreijährige Ausbildung gemacht hat und dann in der Pflege arbeitet und sich über ein Einstiegsgehalt von 3.800 bis 4.000 € Brutto beschwert … naja.

 

Das Gerücht der schlechten Bezahlung stimmt also schon mal nicht. Sklavenarbeit ist ein wenig schönes Unwort. Tatsächlich. Auch für uns in der Pflege gilt das Arbeitsschutzgesetz. Auch wir haben unsere Ruhephasen und auch wir haben unsere freien Tage und Urlaubszeiten, die wir in Anspruch nehmen.

 

Und ich finde es schön, dass ich zum Beispiel meine eigenen Mitarbeiter ordentlich bezahlen kann. Allerdings muss ich auch sagen, dass die Forderung eines frisch examinierten Absolventen nicht unbedingt auf 36 € / Stunde abzielen sollte. Ein wenig auf dem Teppich darf man schon bleiben. Ansonsten stelle ich dann auch gerne die Rückfrage: wo ist denn der Doktortitel? Wo ist die Professur? Wie gesagt, die Gehälter liegen zwischen 3800 und 4.000 € Brutto aktuell. Das finde ich völlig in Ordnung, weshalb das Vorurteil nicht stimmt.

 

Kommen wir zum Thema: Sklavenarbeit. Darauf möchte ich jetzt noch einmal eingehen, dann das ist mir ein Dorn im Auge. Natürlich hat man als Fachkraft Schichten dabei, wo man denkt: „Uff!“ Morgens kommst du schon hin und drei Kollegen sind krank. Dann bist du nur mit Kollegen auf der Schicht, die das Arbeiten nicht erfunden haben und wenn man dann nach Hause kommt, weiß man wirklich, was man getan hat. Ja, gefühlstechnisch hat man schon mal solche Tage.

 

Im Prinzip hat man aber auch drei unterschiedliche Kategorien von Mitarbeitern und Kollegen: Die total motivierten Pflegekräfte, die so diese klassischen Burn-out-Kandidaten sind. Also jene, die noch in ihrer Freizeit privat für die Leute einkaufen gehen; die freiwillig länger bleiben, um noch Gespräche zu führen, die überall mitmischen und in jede Entscheidung involviert werden möchten.

 

Dann hast du die Leute in der stabilen Mitte. Das sind die Kollegen, die pünktlich zum Dienst kommen, die aber auch pünktlich Feierabend machen, die von ihren Emotionen und von ihrer Laune eher gleichbleibend sind, stabil sind, die ihre Aufgaben machen, die aber auch bereit sind, mal einzuspringen.

 

Und dann hast du die Leute, die mich persönlich zum Ausflippen bringen. Jetzt habe ich es gesagt, wie es ist. Das sind die, die zu spät kommen, aber früher gehen wollen; die in der Urlaubsbesprechung schwierig sind, die die Menschen nicht ordentlich versorgen und unfreundlich agieren. Einspringen kommt für diese Kolleg:innen nicht in Frage, aber alle zwei Monate möchte man ein Gehaltsgespräch führen.

 

Gehört man jetzt zu den Übermotivierten und hat von den Störenfrieden eine Vielzahl auf der Schicht, fühlt es sich für den Erstgenannten sicherlich etwas nach Sklavenarbeit an, da sie oder er das alles kompensieren muss.

 

In Summe sage ich: Pflege ist gut bezahlt und keine Sklavenarbeit. Okay, vielleicht ein wenig verrückte Arbeit.

Vorurteil #3: Pflege ist nur was für Frauen!

Ist Pflege tatsächlich reine Frauensache?

Ja, unsere Mädels …

Tatsächlich ist Pflege ein klassischer Frauenberuf. Und das auch heute noch. Tendenziell sind es wirklich eher Frauen. Was schade ist. Und, um es mal von einer anderen Seite zu betrachten: liebe Heteromänner, erlernt den Pflegeberuf. Ihr habt dort die allerschönsten Frauen und die Chance auf die allerbesten Matches.

 

Tatsächlich gibt es aber auch leichte Tendenzen der Veränderung. Seit der Flüchtlingswelle 2015 kommen auch Migranten mit in die Pflege und damit durchaus ein Anteil an männlichen Pflegekräften. Das ist zu Beginn zwar noch etwas holprig und man muss aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse eine gewisse Einarbeitungszeit einplanen, aber wir haben in unseren Einrichtungen auch schon einige männliche Kollegen eingestellt.

 

Das klappt mittlerweile hervorragend und gerade Kollegen aus muslimischen Regionen haben zum Teil einen größeren Respekt vor dem Alter; nehmen die Meinungen und Gefühle der Betreuten noch ernst(er). Wir haben bspw. einen Kollegen, der auch Spätabends um 23:00 Uhr noch etwas zu essen organisiert, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner danach fragt – und wenn er zum Imbiss um die Ecke geht.

 

Stimmt das Vorurteil, dass in der Pflege nur Frauen arbeiten?

 

Meiner Meinung nach nicht mehr so ganz. Es findet ein Wandel statt. Wobei der hohe Anteil an Frauen in der Pflege aus vielen Gründen auch zu begrüßen ist.

Gibt es wirklich einen Freizeitmangel als Angestellter in der Pflege?

Vorurteil #4: Als Pflegekraft kennt man keine Freizeit!

Ja, dann sage ich: „Beileid“. Denn seine Freizeit gestaltet ja bekanntlich jeder selbst.

 

Und ja, natürlich gibt es Arbeitszeiten in der Pflege. Das bedeutet, du hast 158 oder 164 Stunden, oder eine Teilzeitstelle. Aber wenn deine Arbeitszeit voll ist, hast du auch dementsprechend Freizeit. Du bist nicht auf der Arbeit festgekettet und zu irgendetwas gezwungen. Du hast deine Urlaubstage und deine Ausgleichstage.

 

Ich glaube aber, ich weiß, wie dieses Gerücht entsteht. Denn wenn jemand ausfällt und man angerufen wird, ob man einspringen kann, fällt es uns Pflegekräften natürlich schwer zu sagen: „nee, mache ich nicht“. Wer kommt da schon und sagt: „also, ich hab heute Maniküre“? Hier kommt es dann wieder auf den zweiten Punkt zurück und man hat es erneut mit den drei Typen von Kollegne zu tun. Und für die Übermotivierten kann Freizeit dann geringer ausfallen, da es oft auf deren Schultern ausgetragen wird.

 

Hinzu kommt natürlich, dass man durch die Schicht- und Wochenendarbeit oft bei bestimmten Anlässen wie Geburtstagen oder ähnlichem fehlt. Und dann bekommt das Umfeld schnell den Eindruck, dass man als Pflegekraft keine Freizeit habe.

 

Bei diesem Vorurteil bin ich der Meinung, dass es nicht zutrifft. Man hat nur „andere“ Freizeit als das soziale Umfeld.

Vorurteil #5: In der Pflege gibt es ständig Überstunden!

Sind Überstunden in der Pflege an der Tagesordnung?

Nein, das stimmt nicht. Hier kann ich definitiv sagen, dass es nicht zutrifft.

 

Man arbeitet in der stationären Pflege im Dreischicht-System, in der ambulanten auch im Zweischicht-System. Das sind ganz normale und feste Arbeitszeiten. Die Schichten wechseln und wenn die Schicht zu Ende ist, geht man nach Hause. Es mag Ausnahmen geben (die Zeit der Covid-19-Pandemie war da ein markantes Beispiel), wo auch mal Überstunden gemacht werden, weil das Personal entsprechend knapp ist. Oder wenn mal eine Kollegin im Stau steht, die eigentlich für mich kommen sollte. Aber das sind Fälle, die in vielen anderen Berufen (gerade im Schichtsystem) ebenfalls vorkommen.

 

Und ich kenne viele Menschen in Bürojobs, die weit mehr Überstunden leisten als es in der Pflege jemals vorkommt.

Natürlich ist die Dringlichkeit in der Pflege eine andere. Es mag sein, dass man in der Industrie mal sagt, dass es nicht ganz so schlimm ist, wenn die Maschine mal eine Stunde steht. In der Pflege geht das natürlich nicht. Immerhin hat man es hier mit Menschen und deren Leben zu tun.

 

Aber in der Regel sind die Schichten klar geregelt und die Arbeitszeiten vollkommen regulär. Und am Ende der Schicht darf man tatsächlich auch nach Hause gehen. Herzlichen Glückwunsch.

 

Lest im zweiten Teil des Blogs, welche weiteren Vorurteile es noch über die Pflege gibt und welche Meinung ich dazu habe.

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